Ich
schaue mir gedankenverloren in meine Handfläche und schließe sie,
nur um sie dann wieder langsam zu öffnen.
„Egyp!
Egyp!“ Ein heftiges Rütteln an meiner Schulter holt mich aus
meinen Gedanken.
„Liebling
ist alles in Ordnung? Du bist so tief in deinen Gedanken versunken.“
Meine liebreizende Frau Camilla streicht mir über meine Wange. Sie
war in den 12 Jahren die ich sie kenne stets eine Stütze für mich
und kann mir jedes Leid direkt ansehen. Obwohl ich in meiner Karriere
als Arzt schon viel weiter gekommen bin habe ich es noch immer nicht
vollbracht meine kleine Schwester Amélie aus ihrem Koma zu befreien.
18 Jahre ist sie nun schon in der Dunkelheit gefangen und ich vermag
nicht dies zu ändern. Dieser Zustand, diese Ohnmacht zerfrisst mich
von innen und lässt mir keinerlei Ruhe.
„Alles
in Ordnung, danke mein Schatz. Sag, könntest du mir meinen Kragen
richten? Ich möchte wenn Cousin Juan gleich da ist, so gut wie
möglich aussehen.“
„Ihr
steckt noch immer in dieser kleinen Rivalität zueinander oder?“
Camilla lächelt verschmitzt und richtet meinen Kragen.
„Rivalität
würde ich es nicht nennen, wir wollen eigentlich nur nicht schlecht
vor dem jeweils anderen aussehen.“ Antworte ich während ich ihre
zierliche Hand greife und ihren Handrücken küsse.
„Na
dann. Adrett siehst du aus, Liebster“
“Adrett
? Ob ich mich jetzt geschmeichelt fühlen soll weiß ich nicht.“
Das heftige Trampeln kleiner Füße auf dem Flur lenkt meine
Aufmerksamkeit auf die Tür, die wenige Sekunden später heftig auf
geknallt wird.
„Papi!“
Meine beiden fünfjährigen Zwillinge Lucia Amelié und Benjamin
springen mir in die Arme. „He! He! Ganz ruhig, meine Süßen. Wie
geht’s euch heute? Habt ihr gut geschlafen?“ Meine Zwillinge
nicken eifrig.
„Ihr
seid ja noch in euren Schlafanzügen, na los ab mit euch. Onkel Juan
und Tante Nadia kommen bald und da wollt ihr doch super aussehen
nicht wahr? Na los Mama hilft euch beim Anziehen.“
Ich
drücke meinen Kindern jeweils einen Kuss auf den Kopf und schicke
sie mit ihrer Mutter ins Nebenzimmer.
Amelié
wenn du doch nur deine Nichte und deinen Neffen sehen könntest …
Alles was ich gelernt habe und trotzdem bin ich machtlos. Aufhören
Egyp! Ich klatsche mir selbst ins Gesicht.
Genug
Trübsal geblasen es wird Zeit nach unten zu gehen. Es vor kurzem bin
ich mit meiner Familie in dieses Haus direkt an der spanischen Küste
gezogen. Der Balkon der vom Wohnzimmer ausgeht bietet einen
wunderschönen Blick auf das Meer. Noch habe ich meinen Kindern
verboten alleine auf dem Balkon zu spielen, da es zu gefährlich sie
dort unbeaufsichtigt zu lassen. Mit mir oder Camilla dürfen sie nach
draußen.
Gerade
setzte ich mich auf die Couch und blicke nach draußen klingelt es
auch schon an der Tür. Ein Blick auf die Uhr verrät, dass es Mittag
ist. Juan ist pünktlich wie eh und je. Meine Frau scheint noch nicht
soweit zu sein, also nehme ich ihn und Nadia allein in Empfang.
„Egyp!
Wie geht es dir, du siehst gut aus?“
„Gut
vielen dank! Du auch Nadia! Juan mein bester, bist wieder ein
bisschen dicker geworden, deine Frau kocht zu gut was?“ Mein Cousin
boxt mir freundschaftlich in den Bauch.
„ Sagt
der Richtige.“
„Onkel
Juan, Tante Nadia!“ Meine Kinder kommen hübsch angezogen den
langen Flur entlanggerast und werden herzlich begrüßt. Camilla
kommt wenige Sekunden später auch hinzu.
Nach der
herzlichen Begrüßung schlägt meine Frau vor, dass wir in den
Wintergarten zum Tee gehen sollten. Ich habe nichts dagegen
einzuwenden werde, aber von meinem Cousin zur Seite genommen.
„Geht
ihr schon mal vor. Ich muss kurz etwas mit Egyp besprechen.“ Juan
lächelt in die Runde, aber ich kenne ihn lange genug um zu bemerken,
dass etwas nicht mit ihm stimmt.
„Gut
aber lasst euch nicht zu viel Zeit, sonst wird der Tee kalt.“
Befiehlt meine Frau mit ernstem Ton.
„Nicht
doch.“ Beschwichtigt Juan und führt mich raus auf den Balkon.
Die milde
Brise des Meeres weht mir durchs Gesicht. Ohne lange zu warten breche
ich die Stille. „Du wolltest etwas mit mir besprechen Cousin?“
„Ja …
Äther ist unendlich. Es ist in der Vergangenheit, der Gegenwart und
der Zukunft.“
„Seit
wann zitierst du denn Jason Mandis, Juan?“ Ich lächle verwirrt.
Mein Cousin hält sich an der Balustrade fest und sieht auf das
offene Meer. Jetzt blickt er mir in die Augen.
„Ich
habe lange , lange Zeit darüber nachgedacht wie ich dir das folgende
sagen soll, oftmals bin ich daran verzweifelt und habe es aufgegeben,
aber heute … heute reiße ich mich zusammen.“ „Juan du machst
mir ein bisschen Angst wenn ich ehrlich sein soll was ist denn los
mit dir? Was willst du mir sagen?“ Juan holt tief Luft.
„ Vor
18 Jahren waren Nadia, Amelié und ich zusammen auf dem Straßenfest.“
„Ja,
ich weiß. Der Tag an dem sie ins Koma gefallen ist.“
„Amelié
hatte Durst also machte sich Nadia auf den Weg ihr etwas zu trinken
zu besorgen.“ Juan stoppt und ich schlucke vor Nervosität, worauf
will er hinaus? Ich weiß all das schon.
„
Amelié wollte mir ihr neues Äther präsentieren, sie nannte es
„Äther des Dimensionswechsels““
„ Moment, ich dachte du wusstest nicht was für ein Äther Amelié
dir zeigen wollte?!“
„Ich habe gelogen es tut mir leid.“
„Aber wieso? Wieso solltest du über so etwas lügen?“ Ich packe
Juan am Arm und rege mich furchtbar darüber auf, dass er mir eine
solche Information all die Jahre vorenthalten hat.
Womöglich kann mir dieser Hinweis helfen Amelié zu heilen!
„Ich habe gelogen, weil die Geschichte noch weiter geht Egyp.“ Er
befreit sich von meinem Griff und dreht mir den Rücken zu während
er sich wieder auf das Meer konzentriert.
„Sie … sie begann sich auf ihr Äther zu konzentrieren und die
Luft um sie herum schien zu vibrieren, ganz so als würde es sehr
heiß werden. Sie sprang in die Luft und alles von ihrem Kopf bis zu
ihrer Hüfte verschwand. Ich konnte sie noch kichern hören, aber die
Panik machte sich in mir breit, also zog ich sie an den Beinen. Sie
sagte es sei in Ordnung und ich kann ruhig loslassen, doch ich hatte
Angst und lies nicht ab von ihr. Irgendwann verstummte sie und ich
zog so kräftig ich konnte. Sie war bewusstlos, nicht bei Sinnen …
sie war im Koma gefangen. Es war meine Schuld, hätte ich sie
losgelassen hätte sie ihr Äther vollendet und es wäre nichts
geschehen, doch ich lies nicht ab von ihr und dies führte zu ihrem
Zustand … es tut mir leid Egyp. Ich habe es dir so lange
verschwiegen, aber ich wusste nicht wie ich es dir sagen sollte. Ich
war feige.“
Mein Cousin beendet seinen Monolog. Ich schaue mir in die Handfläche
und balle eine Faust.
All die Jahre hat er sich mit mir getroffen, mit mir Zeit verbracht.
Er tanzte auf meiner Hochzeit, war am Tag der Geburt meiner Zwillinge
im Krankenhaus und ihnen seit je her ein guter Onkel. Und all die
Jahre hat er sie im Krankenhaus besucht, hat ihre Hand gehalten und
gebetet dafür, dass sie aus dem Koma erwacht. Und all die Jahre hat
er mich dreist belogen mir mit lachendem Auge die Wahrheit
vorenthalten.
„Äther ist wirklich unendlich Cousin. Ich verzeihe dir.“ Er
dreht sich mit Tränen in den Augen zu mir.
„Wirklich?! Dann habe ich endlich Frieden gefunden!“ Er nimmt
mich in den Arm und kaum merklich drücke ich ihn gegen die
Balustrade. Mein ganzes Leiden, meine Wut, mein Ärger und meine
Verzweiflung vernebeln meinen Geist.
„Ich gewähre dir deinen Frieden Cousin … im Tod!“ Mit all
meiner Kraft stoße ich Juan über die Balustrade und blicke sofort
abwärts während mein Cousin schreiend in sein Verderben stürzt.
Sein Körper zerschellt an einer steinernen Klippe und wird von den
Wellen hin und her bewegt. Einen Moment lang bleibe ich stehen und
blicke einfach nur hinab, ehe ich realisiere was ich getan habe und
mir schlecht wird. Ich halte mir kalt schwitzend die Hand vor den
Mund und falle auf die Knie.
Noch bevor ich meine Tat bereuen kann, stiehlt sich mein verdorben,
genialer Geist in meine Gedanken und lässt mich hysterisch um Hilfe
schreien.
Es dauert nur Sekunden ehe der Rest meiner Familie eintrifft und in
wallende Hysterie verfällt. Die Stadtpolizei trifft ebenfalls ein
und befragt mich, es ist die Kombination aus meiner und Nadias
Aussage über Juans Gefühlszustand der mich schließlich rettet und
das ganze als Selbstmord abschließt.
Nadia hatte ausgesagt, dass ihr Ehemann seid einigen Monaten an
Depressionen gelitten habe.
Die Trauer über den Verlust macht sich in der Familie breit, doch
ich verspüre nichts davon auch keine Reue spüre ich, nur die Kälte
die sich in meinem Herzen eingenistet hat.
Für dich würde ich alles tun … Amelié.