Samstag, 15. November 2014

Meine Wahrheit, deine Lüge

Der Geruch von Aceton und Chlor schien unauffällig Teil der einst frischen Luft geworden zu sein.
Menschen in weißen Kitteln bewegten sich im Erscheinungsbild eines Geistes wie man ihn aus Klischees kennen sollte: Weiß, und nahezu unbemerkt. Als wären diese Menschen ein ewiger Teil eines Zyklus, ein Teil dieser vier Wände gewesen und tatsächlich wären Geister an einem Ort wie diesen nicht auszuschließen gewesen. Zumindest nicht in einem Hause, in dem Menschenleben und Tod in solcher Nähe zueinander koexistierten. So war das schon immer mit Medizin. Wo geheilt wurde, dort waren Narben eine obligatorische Folge.

In einem Raum dieses Krankenhauses nehmen wir aus der Ferne wahr wie der leitende Arzt, ein Mann jungen Jahres, mit übernatürlich vollem Haar und einem wohlgeformten Bart auf seinen Patienten zu geht. Er bittet die Krankenschwestern und Assistenzärzte draußen zu bleiben, betritt mit einer professionellen Ruhe den sich vor im befindenden Raum. Ein beispielhaftes Vorgehen. Mediziner müssen in der Lage sein, über einer Beziehung zu ihren Patienten zu stehen, die persönlich ist. Andernfalls können sie der Herausforderung ihrer Berufung nicht gerecht werden.
Schließlich war es schon Mandis der sagte- Der Mensch habe seinen Soll für die Gesellschaft zu erfüllen. Dieser Arzt wusste, wie er zu handeln hatte. In Anwesenheit seiner Assistenten oder Krankenschwestern würde er niemals seine Professionalität aufgeben. Ja, Javier Belacruz, in vielerlei Hinicht ein Vorreiter seines Faches.

"<< hust>>- Ich dachte fast, du würdest nicht kommen, Javier!" brach dessen Patient in Gelächter aus, kaum waren sie die einzigen Personen im Raum. Die weißen Wände des Zimmers, frischen Lilienblüten der apportierten Pflanzen täuschten durch ihre friedvollen Farben vor der Grausamkeit der Zeit. Denn am Fenster befand sich ein an Schläuchen- für das Auge eines Nicht-Mediziners, undefinierbaren Geräten angelegter Mann. Seine mittlerweile grauen Haare sowie zerbrechliche Statur sprachen für sich: Sein Alter war ihm deutlich anzuerkennen. Falten bedeckten das Bild des wohl einst gut statuierten Mannes. Jetzt aber konnte dieser sich nicht mal erheben, so blieb er lediglich liegen und richtete seinen Blick auf die Decke seines Zimmers, während er seine Worte sprach. Trotz dieses Lebensumstandes blieb Javier unbeeindruckt, doch eines hatte sich geändert.

Kaum waren die zwei Männer alleine, wurde aus dem professionellen Doktor Belacruz ein lächelnder Mann, der sich sichtlich freute diesem Patienten begegnen zu dürfen. "Humor ist bis heute nicht Eure Stärke" eröffnete der Mann das Gespräch offiziell. Javier bediente sich eines Holzstuhles eines Tisches im Raum und setzte sich ans Bett des Kranken. "Wie geht es Euch heute?" sprach er. Auf das Lachen des Patienten folgte ein leidvolles Husten. Doch Javier kannte den Effekt seiner Frage. Vielleicht gerade weil er seinen Patienten gut kannte wusste er, diese Frage würde für eine Konversation reichen. In diesem Sinne ließ er ihn sprechen.
"Javier, ich habe keine Zeit mehr. I-Ich bitte dich nur, mir die Erlösung zu geben, nach der ich suche, so lange..." Javier scheint verwirrt als sein Gegenüber seine in Verzweiflung getränkten Worte weinend ausspricht.
In der Medizin wird man oft mit Menschen, nein, Lebenssituationen konfrontiert. Dass Javier verwirrt ist entspringt dieses Mal allerdings der Tatsache, dass er diesen Mann wohl noch nie in einer solchen Situation erlebt hat. Einem Moment absoluter Schwäche. Schnell fängt sich der Arzt, jedoch nimmt er die faltige Hand und nickt im zu.
"Sieh dich um Javier, was ich alles geschaffen habe: Revolutionierte die Äther-Medizin, erbaute dieses Krankenhaus. Dennoch liege ich hier weinend, unfähig dir ins Auge zu- " brach er ab.

Javier zögerte nicht und hielt seine Hand etwas stärker, bat ihn sich zu beruhigen. Er half ihm, ruhiger zu atmen, und sich langsam zu fangen. "Ihr müsst vorsichtiger sein, das hätte in einen Infarkt ausarten können. Das solltet ihr wissen." Sprach er mit einer Stimme der Vernunft, die jetzt gerade wohltuend für die Ohren des Patienten zu sein schien. Ich sollte das Gespräch lenken. Er ist bedrückt. Mehr als sonst....

"Geht es Euch etwas besser? Hier, trinkt bitte einen Schluck." Javier nahm sich die Freiheit, ein Glas mit kalten Wasser zu füllen. Sein Gesprächspartner blockte gekonnt ab indem er seinen Kopf in Richtung Fenster drehte, doch damit war es nicht getan. "Ich bin ein Mörder, Javier. Ich habe ihn getötet."
"Wen habt Ihr getötet?

"Meinen besten Freund, meinen Cousin? Er war sehr viel für mich.Doch in seinem Leben spielte ich die Rolle des Henkers." Was im ersten Moment wie eine Ladung Hysterie schien entwickelte sich immer mehr zu Realität. Javier kannte ihn gut genug um dies zu verstehen. Auch wenn er durch sein Alter an dieses Bett gefesselt war, er sprach Worte der Vernunft. Er hatte sich gefangen.
"Sprecht weiter, ich bin bei Euch." Gab Javier weiterhin ruhig von sich. Er musste ihm die Chance geben, sich auszusprechen. Und ohne sich zu Javier zu drehen, begann der wohl längste Monolog, den beide erleben durften.

"Meine teure Amélie ist seit ihrer Kindheit im Koma. Als ich mein Leben der Medizin widmete, schon damals war ich besessen. Bis heute, Javier. Die Worte wurden Satz für Satz schwerer. Es gab seit dem Koma keinen Tag, der mich nicht dem Gedanken widmete, sie auf zu wecken. Und so vergingen Tage, und Monate, bis aus diesen Jahre und Jahrzehnte wurden. Ich gründete das Krates Institut für fortgeschrittene Äthermedizin in Hoffnung, Mediziner aus aller Welt könnten mir mein Ziel näher bringen. Und doch war mir keiner in der Medizin gewachsen, dass er mir hätte helfen können.
Bis ich lernte, mit meiner Verzweiflung zu leben. Viele Menschen lernen damit umzugehen, Schwächen zu verarbeiten. Doch ich, ich wurde besessen. Lächerlich eigentlich. Mein Leben auf das aufwecken meiner Schwester ausgelegt habe ich Medizin revolutioniert, Menschen vor Unbekannten geheilt. Doch der einzige Mann der beschränkt ist, blieb ich, nach all den Jahren...."
Ein nur kurzer Seufzer des Mannes, dessen Hand nach wie vor von derer Javiers ummantelt wurde, unterbrach den Monolog, ehe es weiterging. Als hätte der Erzähler es schon gewusst sprang er zu dem, was Javier sich bereits einige Momente fragte.
"Viele meiner Patienten erzählten mir kurz vor ihrem Tod, sie würden ihr Leben an ihnen vorbeiziehen sehen. Ich verstehe es noch immer nicht. Meine Natur spricht wohl nicht dafür, Javier.
Selbst heute, wo ich realisiere was ich an Schaden in meinem Umfeld ausgeübt habe, ich wünsche mir immer noch nur ihre Augen geöffnet zu sehen: Nachdem ich herausfand, dass mein jahrelanger Freund Schuld an ihrem Koma war. Javier; auch wenn ich unüberlegt handelte seiner Zeit. Ich habe ihn getötet. Ich habe es genossen. Ihm auch sein Licht zu nehmen. Wie naiv ich war.
Seine Familie hatte ich zerstört, er hatte kleine Kinder, die nun ohne Vater aufwuchsen. Ob es mir das wert war? Ich verdrängte es. Schließlich war der Mord als Unfall abgestempelt, ich konnte mich meiner Aufgabe widmen, für die Medizin zu leben. Ist es nicht Ironie, dass Hände, die heilen können genauso viel schaden können? Es ist eine Schande, zu spät zu verstehen, einem Menschen die Chance auf Reue und Erlösung genommen zu haben. Deshalb werde ich jetzt das gleiche Schicksal erfahren.

"Mein Junge, ich habe sehr lange schon keine Familie. Viele Jahre vergingen, bis ich versuchte meiner Familie zu erklären was geschah- damals. Sie verließ mich, meine Kinder verachteten mich. Ich war einsam, gebrochen. So lange glaubte ich den größten Verlust meines Lebens bereits erfahren zu haben. Javier, erst als ich meine Familie verlor verstand ich meinen eigentlichen Verlust. Und ich bin, trotz all meiner Fehler stolz sagen zu können..."
Er drehte sich jetzt langsam um. Sein Gesicht in Tränen getränkt schien jedes Wort wie eine Hürde zu sein, über die Krates schon lange nicht mehr springen konnte. Er wusste, sein Ende war nah.
"JAVIER ICH BIN STOLZ AUF DICH! Mit jedem Fehler, der mein Leben immer grauenvoller wirken ließ, standest du mir bei, bis heute. Ich da-"

"Doktor!" stampfte eine Krankenschwester in die Türen. Javier blickte nur nach hinten, ließ die Hand nicht los.
"Ja?"
"Sie ist .... Sie ist wach."
"Sofort."

"Habt Ihr das gehö-" Es war vorbei. Endgültig. Auch wenn Ihr von euch niemals so viel hieltet wie ich, oder manch einer, der sein Leben Euch zu verdanken hat, so wart Ihr ein Held. Javier ließ die Hand seines verstorbenen Freundes los und ließ sie behutsam auf das Bett. In aller Ruhe kümmerte er sich darum die Geräte auszuschalten und seine Augen zu schließen.
Er verließ den Raum, dabei selbstverständlich mit einem Blick, der nichts anmerken ließ. So war das schließlich in der Medizin. Mediziner müssen in der Lage sein, über einer Beziehung zu ihren Patienten zu stehen, die persönlich ist. Andernfalls können sie der Herausforderung ihrer Berufung nicht gerecht werden.

Schließlich war es schon Mandis der sagte- Der Mensch habe seinen Soll für die Gesellschaft zu erfüllen. Dieser Arzt wusste, wie er zu handeln hatte. In Anwesenheit seiner Assistenten oder Krankenschwestern würde er niemals seine Professionalität aufgeben.
Dieses Mal aber konnte Dr. Belacruz nicht anders, als zu laufen. Schließlich war sie wach. Amélie. Das Fundament eines Lebens, des Lebens seines einstigen Freundes, seines Meisters. Egyp Krates.
Auch wenn Du es vielleicht nicht verstanden hast, du warst ein Held. Am Ende unseres Lebens werden wir nicht an unseren Fehlern gemessen, sondern daran worin und wonach wir strebten.
Ich werde ihr helfen sich in dieser neuen Zeit wieder zu fangen. Wir sehen uns im nächsten Leben wieder.... Egyp.